Die Cowboys der Petite Camargue

Wer die Menschen in der Petite Camargue und deren Seele verstehen möchte, dem sei ein Besuch auf einer Manade herzlich empfohlen. An keinem anderen Ort vereint sich die tief verwurzelte Tradition von Stier-und Pferdezucht mit der zuweilen rauen Natur. Wir folgen der Einladung der Manade Martini und besuchen deren Hof in Franquevaux. In den Sommermonaten öffnet die Familie jeweils am Mittwoch-und Freitagabend die Tür und lädt Besucher ein, das Leben und die Arbeit eines Manadiers kennenzulernen.

Noch ahnen wir nicht, dass uns nebst dem Kennenlernen der eigentlichen Arbeit des Manadiers ein buntes Spektakel erwartet. Ein rundum gelungener Abend mit vorzüglichem Essen, Liedern der Camargue und geselligem Beisammensein mit Gleichgesinnten. Die Stimmung ist volkstümlich. Wir spüren sehr viel Herzblut und Engagement an diesem Abend.

Im ersten Teil des Abends findet die «Ferrade» statt. Die Jungtiere im ersten Lebensjahr werden mit Nummern und dem Emblem der Manade gezeichnet. Nur so kann der Gardian die einzelnen Tiere in der Weite der Prärie erkennen. Und falls mal eines der Herde entwischt um anderswo saftiges Gras zu finden, kann es mit dem Lasso eingefangen und dem rechtmässigen Besitzer zugeordnet werden. 

Danach geht es mit einem Wagen aufs Feld. Die Gardians und ihre zirka 20 Helfer in den bunten Hemden reiten auf ihren Camargue Pferden voraus. Das dumpfe Galoppieren der Hufe vermischt sich mit dem Rattern des Traktors, der den langen Karren mit den Besuchen zieht. Wir sitzen wie die Hühner drauf. Ein bisschen Show muss schliesslich sein.

Nun wollen wir sehen, wie sie ein einzelnes Tier aussuchen und es von der Herde separieren. Der kleine Stier soll direkt vor unserm Wagen zum Stillstand kommen. Alle zücken erwartungsfroh die Kamera und es geht los. Die Gardians umkreisen die Gruppe und preschen in atemberaubendem Galopp über die Felder. Zur Belustigung der Besucher klappt das heute selbst bei mehreren Versuchen nicht. Ein Gewitter ist im Anzug und die Tiere führen die «Cowboys der Camargue» an der Nase herum. Bernard Fougairolles, der Manadier, nimmt es mit Humor. «Allez, demi-tour on attaque l’apéro!»

Bei einem Glas Rosé vom benachbarten Weingut « Château Beaubois » und leckeren Muscheln vom Holzkohlefeuer kommen wir auf das eigentliche Ziel jedes Manadiers zu sprechen: Einen erfolgreichen und berühmten Stier für die Course Camarguaise heranzüchten und ausbilden. Das bringt nicht nur Ruhm und Ehre, sondern auch die eine oder andere Prämie. Die Thematik polarisiert. Eine rege Diskussion kommt in Gang. Gehört ein Stier, auch wenn es sich um einen sportlichen und keinesfalls um einen blutigen Anlass handelt, in eine Arena? Die Course Camarguaise. Von Mai bis Ende Oktober dominiert sie die Agenden der Einheimischen. Immer wird es leidenschaftlich und das Feuer in den Augen leuchtet, alleine wenn der Begriff fällt. Der Stier und die damit verbundenen zahlreichen Anlässe bilden das Epizentrum des Geschehens. Steht dem aussenstehenden Besucher ein schnell gefälltes Urteil, ein Ablehnen einer tief verwurzelte Tradition eines Volkes zu?

Bei einem würzigen Schmorgericht «Taureau à l’ancienne» und Reis aus lokalem Anbau lassen wir es uns gutgehen. Als Régine Pascal, eine bekannte Schlagersängerin der Umgebung, zum Mikrofon greift, erreicht die Stimmung Ihren Höhepunkt. Das einheimische Publikum singt mit voller Kehle mit. Die Lieder handeln von der wilden Natur der Camargue. Von Liebe, Freiheit und Herzschmerz. Wir lassen uns mitziehen und geniessen den Moment. Als die Hymne der Camargue verklingt, ist der ganze Saal ergriffen. Für einen Moment verbindet die Stille. 

Auf dem Heimweg sind wir uns einig. Der Besuch auf der Manade Martini in Franquevaux gefällt unseren Envie de Sud Gästen. Gutes Essen und Wein, Tiere für die Kinder, einen Einblick in die Tradition und zum Schluss noch ein wenig schunkeln – das passt für gross und klein. Jung und älter. Und für sprachfremde auch ohne Französischkenntnisse!

Herzlich,

Ursula & Andreas